GEHEN UND BLEIBEN (2014)
25 Jahre der Annährung

zwei-tage

Gehen und Bleiben – 25 Jahre der Annäherung

Anlässlich der Öffnung der innerdeutschen Grenze im Schicksalsjahr 1989 hat Dagmar Calais dieses Ausstellungsprojekt konzipiert, das sich wesentlich auf zwei Teilbereiche konzentriert:
Zum einen sind es die Opfer, die an der innerdeutschen Grenze das Leben lassen mussten und zum anderen die wenigen äußeren Spuren die nach 25 Jahren an der 1378 Km langen ehemaligen Grenze heute noch zu finden sind.

Die nahezu 900 weißen Holzklötze sind angeordnet wie ein Gräberfeld. Jeder der Klötze trägt einen Namen, den Geburtstag, den Tag des Todes und die Art und Weise, die den Tod herbeigeführt hat. Es sind eben die bisher dokumentierte Opfer an Mauer und Grenze zwischen den beiden Deutschlands oder an anderen Stellen des Eisernen Vorhangs.

Für Dagmar Calais war das bearbeiten dieser weißen Klötze ein entscheidender Teil ihrer künstlerischen Arbeit, so etwas wie ein kontemplativer und auch meditativer Akt. Es ist eben nicht das neutrale Schreiben eines Namens, sondern mit dem Schreiben tauchen zwangsläufig auch Bilder auf, Vorstellungen um die Art und Weise ihres Sterbens und der einer verlorenen Zukunft. Mit jedem Klotz nahm die Künstlerin gleichsam ein individuelles Schicksal in ihre Hand, und die Schrift wurde so zu einer Gravur auf einem Grabstein oder einer Gedenktafel, verbunden mit Nachdenklichkeit, Betroffenheit und Trauer. Die Bilder hat Dagmar Calais speziell für diese Ausstellung gemalt.

Sucht man heute die ehemalige deutsch-deutsche Grenze, muss man oft eine Wanderkarte zur Hand nehmen, um ihren genauen Verlauf zu bestimmen.

Die Grenzbefestigungen und die Lampen im Todestreifen sind verschwunden. Nur noch vereinzelt blieben die Beobachtungstürme oder Zaunfragmente stehen und manchmal wird der Kolonnenweg im ehemaligen Schutzstreifen der Grenze von der Landwirtschaft oder als Grenzwanderpfad genutzt. Die Natur hat sich den Todesstreifen zurück erobert und so manches dadurch entstandene Biotop bietet Lebensräume für seltene Tiere und Pflanzen.

Dieser Rückeroberung hat die Künstlerin diese Gemäldeserie gewidmet. Gleichzeitig sind deutliche oder auch verschlüsselte Fragmente der ehemaligen Grenzbefestigungen oder der DDR-Vergangenheit in die Bilder eingefügt.

So sehen wir auf dem Seestück, die Ostsee. Auch wenn zu DDR-Zeiten die Strände von Prerow oder Bad Doberan Strände der gelebten Freiheit in den Urlaubsmonaten dienten, weit ab von der tristen Alltagsrealität hin zu Urlaubsfreuden und FKK, so war die Ostsee für die Menschen dort viel mehr.

Die fernen Schiffe fuhren schon damals, legten in Häfen an, die ihnen unerreichbar schienen. Hinter dem Horizont lockte die Freiheit. Etliche Menschen nutzen die Ostsee als Möglichkeit zur Flucht. Einige schafften es, andere, darunter ganze Familien kamen ums Leben.

Doch das liegt nun 25 Jahre zurück, die DDR ist auf diesem Bild nur noch als Strandgut vertreten, wie die angespülte Konservendose auf der noch EVP und …janka zu lesen sind.

Die Ruine der Eisenbahnbrücke von Dömitz an der Elbe hat eine vielschichtige Bedeutung:
Als Folge des Naziterrors von alliierten Bombern zerstört, blieb sie als Ruine weiter bestehen, da die Elbe gleichzeitig die innerdeutsche Grenze darstellte. Somit verbindet sie den Wahnsinn des Zweiten Weltkriegs mit der daraus resultierenden Trennung Deutschlands.Das glühende Rot identifiziert die Elbe als Schicksalsfluss, als Fluss der sinnlosen Verteidigung von Soldaten und Volkssturmtruppen in der Schlussphase des letzten Krieges, oder als Fluss der historischen Begegnung zwischen Amerikanern und Sowjetrussen am 25. April 1945 in Torgau, als Grenzfluss, den wagemutige Flüchtlinge zu durchqueren versuchten. Da Dagmar Calais hier diese Brücke als Motiv gewählt hat, ist dies Bauwerk eben nicht nur ein Sinnbild der Trennung, denn die Aufgabe einer Brücke ist eben naturgemäß die der Verbindung zwischen zwei Ufern, des Überquerens von Hindernissen und spielt somit auch eine entscheidende Rolle für die Überwindung äußerer und innerer Gräben.

Auf einem anderen Bild erinnern die zahlreichen Steine an einen jüdischen Friedhof.
Dagmar Calais potenziert quasi diese 900 Opfer, deren Namen auf den weißen Holzklötzen stehen, in die Unzählbarkeit. Millionenfacher Tod durch Krieg, Massenmord, Hunger oder Flucht entzieht sich jeglicher geordneter Kategorie. Es bleibt namenlose, chaotische Unordnung, die nur Sprachlosigkeit hinterlässt und sich bestenfalls über die gemalte Poesie der Denksteine, wie wir es hier sehen, andeuten lässt.

Dr.Sascha Möbius
Leiter der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn

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